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  • AutorenbildAnne

Lockdown-Entscheidungen

Wir arbeiten nach dem Rollenmodell, das heißt, jeder kann nach einer Beratung der anderen Teammitglieder seine Entscheidung innerhalb seiner Rolle treffen. Das heißt wiederrum, dass wir innerhalb unserer zahlreichen Rollen sehr oft Entscheidungen treffen dürfen und müssen.


Mit der Zeit lernt man gute Entscheidungen zu treffen. Gut im Sinne der Organisation und was sie im Moment am meisten braucht. Gut, so dass ich mit der Entscheidung leben kann und gut für die anderen Teammitglieder, denn auch ihr Standpunkt ist eine Entscheidungsgrundlage. Oder wir entscheiden einfach aus der Erfahrung heraus. Normalerweise ist immer eine dieser Entscheidungsgrundlagen verlässlich und bringt uns schnell zum Ergebnis.

Aber was passiert, wenn es keine Grundlage mehr gibt, auf denen meine Entscheidung beruhen kann?

Jetzt stehen wir drei Tage vor dem Lockdown und unser finaler Projekthöhepunkt ist ungewiss. Wir alle stehen vor einer Situation, die neu für uns, für unsere Organisation und unsere Umwelt ist. Es gibt niemanden, der sich schon einmal in und vor dieser Situation befunden hat. Ich habe den ersten Part, die Rolle der ersten Veranstaltungsreihe und nachdem wir alles perfekt geplant hatten, hat sich die Situation um 180 Grad gedreht. Eine neue, ganz andere Entscheidung muss her - jetzt - schnell - gut. Doch auf welcher Grundlage soll ich entscheiden?

Natürlich gehe ich wie immer vor und frage alle Teammitglieder um Rat. Ich erhalte fünf komplett unterschiedliche Meinungen und zehn mögliche Varianten.

Die Beratungen, die ich aus dem Team erhalte, sind so breit gefächert wie in der Gesellschaft auch. Die Spannbreite geht von "nur die absolut notwendigsten Einschränkungen einhalten" über "digital machen", "auf das Frühjahr verschieben", bis "das ganze Projekt absagen und die Gelder zurückgeben" oder "die Situation nutzen, um echt neue Formate zu denken, die durch die Digitalität echten Mehrwert schaffen".



Danke für die Beratung, aber das bringt mich der Entscheidung nicht näher. Ich schaue mir an, wie andere Organisationen während des ersten Lockdowns mit ihren Veranstaltungen umgegangen sind und siehe da - wir machen das Ganze digital. Halt, stopp - das gefällt mir eigentlich gar nicht. Ein schwammiger Kompromiss fühlt sich nicht wie eine gute Entscheidung an. Wo könnte ich denn noch eine Lösung finden, wenn nicht im Außen?

Nach vielen Telefonaten, unendlichem Hin-und-her-überlegen, abwägen, verwerfen, hineinversetzen und keine-Lust-mehr-haben (und nachdem ich mir jemanden gewünscht habe, der mir die Entscheidung abnimmt, aber New Work means hard work), gehe ich einfach in mich. Ich stelle mir vor, wie die Veranstaltung ablaufen könnte. Stelle mir jede:n einzelne:n Akteur:in vor, wie sie reden, wie sie sich zum ersten mal begegnen, wie der Raum aussieht, wer wo sitzt. Ich male mir innerlich das Bild nach dem ich überall gesucht habe. Ich stelle mir eine Frage und wenn man dem Verstand Zeit lässt und ihm genau zuhört, dann antwortet er auch. Die Lösung war in mir und die Entscheidung ist jetzt klar. Sie fühlt sich nicht mehr an wie ein Kompromiss sondern wie eine echte Lösung.


Ich weiß, wie schwer, langwierig und anstrengend Corona-Entscheidungen sind. Bei uns hat sie nur 24 Stunden gedauert. Dafür war sie ganzkörperlich und sehr intensiv. Der Preis von New Work oder der Vorteil von New Work? So ging und geht es wahrscheinlich allen, die neues Terrain erkunden. Sobald man die Komfortzone verlässt, muss man lernen, sich selbst zu vertrauen. Seinem Verstand und seiner Intuition, um am Ende eine Entscheidung treffen zu können, die im Innen und im Außen und für diesen Moment gut ist. Wer weiß denn schon, was uns morgen erwartet.



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