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Meine Welten im Überblick - Versprechen als ordnende Struktur

Wir alle arbeiten nur mit maximal zwanzig Wochenstunden in der Working Evolutions. Wir haben neben der Pflege dieser Organisation noch weitere Projekte, von Familie und Hausbau über ehrenamtliche, angestellte und freiberufliche Aufgaben. Für die Working Evolutions ist das ein riesiger Gewinn - weil wir dadurch weniger gefährdet sind, systemblind zu werden; weil es uns mit anderen Menschen und Inspirationen in Kontakt bringt; weil wir uns in anderen Systemen erleben und mehr über uns lernen können und das, was uns wirklich wichtig ist. Doch in Kombination mit der Selbstorganisation unserer Arbeitsweise wird doch die Entscheidung darüber, was wir wirklich verantworten wollen und können, deutlich komplexer als es traditionell schon ist. Aber Komplexität hält uns niemals von Freiheit ab.



Wir entscheiden selbst, was wir in unserer Arbeitszeit machen. Immer orientiert an der Frage, was die Working Evolutions aus meiner Sicht gerade am dringensten benötigt und was ich am besten beitragen kann, maßschneidere ich mir Rollen, für die ich die vollständige Verantwortung übernehme. Die anderen beraten mich, aber die Entscheidung liegt bei mir, nicht im Team. Das ist so zentral in unserer Arbeitsweise, dass Verantwortung einer unserer drei Werte ist, zusammen mit ihrer besten Freundin Vertrauen, ohne die Verantwortung nicht funktioniert. Ich muss also kontinuierlich entscheiden, was ich eigentlich verantworten kann.

Verantwortung heißt auf Englisch Responsability, also die Response Ability, die Fähigkeit, zu antworten - verANTWORTung.

Bevor ich entscheide, etwas zu verantworten, muss ich daher sicher stellen, dass ich die Fähigkeit habe, in diesem Bereich verbindlich und zielführend zu antworten. Und in dem Moment, in dem ich die Verantwortung übernommen habe, hat sich das auch sicher so angefühlt. Doch dann kommt das echte Leben, ich habe hier und da noch mehr und andere Verantwortungen übernommen, innerhalb und außerhalb der Organisation und irgendwann kann ich mir einfach nicht mehr sicher sein, ob ich auf all das überhaupt noch realistisch antworten kann.


Wir verlieren also regelmäßig den Überblick, haben das Gefühl, dass es zuviel oder zu wenig ist und nutzen einander, um wieder das richtige Gleichgewicht herzustellen. Hier gehört mehr rein, als nur das, was direkt die Working Evolutions betrifft, hier muss das ganze (Arbeits-)Leben rein. Heiko geht es im Moment so und er hat mir eine wunderschöne Übersicht geschickt, mit Kästchen in verschiedenen Farben und Pfeilen, die sie verbinden. Er hat die Kästchen Handlungsstränge genannt, die er wiederum verschiedenen Organisationen zugeordnet hat, immer markiert, ob er alleine zuständig ist oder ein Team daran arbeitet. Eine ordnende Struktur, die auf jeden Fall schon mal mehr Übersicht herstellen als ein vages Gefühl. Seine Frage war ganz schlicht: "Guck mal, glaubst Du, das ist zuviel?"






Wenn wir einander um Feedback bitten, haben wir eine Verantwortung, so exzellent zu beraten, wie wir es nur können. Beratung ist die Grundlage unserer Entscheidungen. Ich möchte Heiko also so gut wie möglich helfen. Ich schicke ihm zunächst meinen ersten Eindruck: meine Freude darüber, dass die systemische Arbeit den gemeinsamen Nenner bildet und dass es mir auf einen Blick schon so erscheint, dass er auf jeden Fall nicht tief mit so vielen Dingen verbunden sein kann. Aber es lässt mich nicht los. Auf welcher Basis soll ich beraten? Die Anzahl von Kästchen auf seinem Überblick sagt doch genauso wenig über die Arbeitslast aus wie die Anzahl von Rollen, die ich in der Working Evolutions übernommen habe - manche kosten mich 5 Minuten im Monat, andere 60 Stunden.

Und da wird mir endlich klar: Es ist doch eigentlich ganz egal, wieviele Bereiche, Rollen, Titel, Abteilungen o.ä. ich habe, solange ich noch alles halten kann, was ich versprochen habe - explizit wie implizit.

In Gedanken füge ich unseren leitenden VVV-Werten Verantwortung, Verbundenheit, Vertrauen zwei weitere V hinzu: verbindliche Versprechen. Und sofort fällt mir Morning Star ein, ein großes Unternehmen, das ihr vollständiges Organigramm ausschließlich an Versprechen ausgerichtet hat.


Sie arbeiten frei und selbstorganisiert, doch jedes Mal, wenn sie eine Verabredung miteinander eingehen, wird diese als "commitment" festgehalten und auf dieser Basis erstellt sich das Organigramm immer neu, was dann in etwa so aussieht:


Bildquelle: Green, Paul (2010): The Colleague Letter of Understandings - Replacing Jobs with Commitments. Management Innovation EXchange


Die Netzwerkorganisation wird sichtbar, was Transparenz darüber schafft, wie die Organisation HEUTE aussieht, denn morgen sind einige dieser Verabredungen bereits abgearbeitet und neue entstanden. Jeder Mensch ist eine Kugel, jedes Versprechen ein Strich. Meine Arbeitsplatzbeschreibung ist die Summe der Verbindlichkeiten, die ich freiwillig eingegangen bin.


Ich stelle mir vor, ich könnte auf den Punkt "Heiko" klicken und mir seine Versprechen ansehen. Könnte ich ihn dann beraten? Viel besser. Aber wahrscheinlich bräuchte er dann meine Beratung gar nicht, weil sich die Menschen am anderen Ende der Striche schon melden, wenn er eine Verabredung nicht mehr einhalten kann und er dann sofort nachjustiert - obwohl auch das natürlich alle noch lernen würden.


Ich schreibe Heiko sofort auf Threema und sende vor Aufregung gleich noch eine Email hinterher: "Übersetz das mal alles in Versprechen, dann kriegst Du einen echten Überblick, ob Du das verANTWORTen kannst", schreibe ich leicht extatisch. Und dann erst verstehe ich wirklich, warum die transparente Arbeit mit Versprechen so machtvoll ist. "Und dann kannst Du die Menschen fragen, ob sie genau dieses Versprechen überhaupt haben wollen", füge ich hinzu und freue mich auf die Gespräche, die er führen wird und bin unfassbar gespannt auf das Ergebnis.


Sofort sehe ich bei mir nach. Wieviele Dinge glaube ich verantworten zu müssen, ohne sichergestellt zu haben, dass jemand dieses implizite Versprechen überhaupt haben möchte? Es ist doch jedes Mal ein echtes Lerngeschenk für mich selbst, wenn ich eine Bitte um Beratung wirklich ernst nehme.


Eine Erklärung über die Entstehung dieser Arbeitsweise bei Morning Star sowie Einblicke in den Alltag eines riesigen, freien Unternehmens könnt Ihr Euch in diesem Video ansehen:



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