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  • AutorenbildAnne

Warum ich Netzwerktreffen gerne verpasse

Als ich ins Berufsleben einstieg, haben mich Menschen mit vielen Netzwerken und Netzwerkpartner:innen fasziniert. Sie gingen auf Meetings und Networking Veranstaltungen, hatten zu jedem Innovations-Gap die passende Visitenkarte und wussten scheinbar, wer, wie und woran in der jeweiligen Branche arbeitet. Das fand ich beeindruckend und das nährte meinen Wunsch, auch so eine Netzwerkhopperin zu werden. Mein Netzwerkzähler mit echten Menschen war damals bei 0, wenn ich Linked-In nicht dazu zähle, welches mir immer mal wieder Netzwerkpartner:innen mit Schneeballsystem-Vorliebe in die Mailbox spült.

Ich habe damals nicht hinterfragt, ob das bloße Netzwerken und Visitenkartensammeln eigentlich Sinn ergibt. Auch nicht, was eigentlich nach der Veranstaltung passiert. Mich faszinierten nur die vielen "das müssen wir unbedingt zusammen weiterdenken" und "ich bin sicher, wir finden da einen gemeinsamen Ansatz der Zusammenarbeit.". Oder der Klassiker:"Wir bleiben in Kontakt, ich melde mich wegen dem Projekt X bei dir."

Scheinbar waren Netzwerke der Schlüssel zu Menschen, Wissen und organisationaler Weiterentwicklung. Also packte ich mein Köfferchen und fuhr mit 21 zu meiner ersten, großen Netzwerkveranstaltung. Acht Jahre später und unzählige Netzwerktreffen aus diversen Branchen auf dem Zähler kann ich mit Sicherheit sagen: ich bin enttäuscht von Netzwerken.




Ziehen wir mal Bilanz:

Netzwerke sollten emergente Pools an Menschen, Beziehungen und Wissen sein. So weit, so gut. Nur kann ich meine Aufmerksamkeit in der Regel nicht auf 50 Menschen gleichzeitig richten. Also nehmen wir mal an, ich spreche auf einer Veranstaltung mit 15 Leuten, von denen vier interessante Netzwerkpartner:innen sein könnten. Ich schneide grob an, welche beruflichen Schnittmengen wir haben und wie wir perspektivisch zusammen arbeiten, Ideen entwickeln und/oder Geld verdienen können. Von diesen vier Menschen bleiben in der Regel zwei übrig, auf die meine mit Limo und Snacks abgerundete Netzwerkbeziehung auf gegenseitiges Interesse stößt. Ich habe letztendlich also eine An- und Abfahrt, einen ganzen Tag, viele Worte und Visitenkarten gebraucht um zwei halbwegs interessante Menschen halbwegs gut zu binden. Bis dahin haben wir weder gedacht, gelacht noch Geld verdient - also treffen wir uns noch weitere Male.

Betriebswirtschaftlich ist diese Art Geschäftsbeziehungen aufzubauen nicht beste Lösung (für mich). Es gibt Menschen, die nach solchen Treffen ihren Stapel Visitenkarten tatsächlich abarbeiten und dranbleiben - dazu fehlten mir und den Organisationen, in denen ich bisher und bis jetzt arbeiten, aber die zeitlichen und gleichzeitig damit die finanziellen Ressourcen. Corona hat die Netzwerke digitaler gemacht, aber nicht wirksamer. Der Zugang fällt mir noch schwerer als davor - auch wir als Organisation haben festgestellt, dass wir uns mit unseren Projekten in Bezug auf Forschung und Entwicklung neuer Arbeitsweisen nicht als klassische Netzwerker:innen aufstellen, sondern als denkendes System, welches aus vielen wirksamen Verbindungen besteht, die wir von der Mitte aus verknüpfen und begleiten. Digitale Netzwerktreffen standen nur äußerst selten auf dem Plan - jetzt konnten wir ja digital anreisen.


Wenn ich rückblickend die wirklich wirksamen und wichtigen Beziehungen in meinem Berufsleben betrachte, haben diese sich in der Regel ganz bewusst und gezielt gebildet. Und zwar, in dem ich diese Menschen und ihr Tun speziell nach meinem Bedarf und Interesse ausgesucht habe. Eine Networking Veranstaltung ist eher wie Lottospielen, was für introvertierte Menschen übrigens ein sehr anstrengendes Lottospiel ist.

Diese wirksamen Beziehungen gingen von mir aus oder sind direkt auf mich und meine Organisation zugekommen, ohne dass eine:r von uns ein Netzwerk dazu brauchte. Wir kamen in der Regel schneller zu besserer Zusammenarbeit, die sich verbindlicher und ehrlicher anfühlt. Auch die Ressource Zeit wird achtsamer gebraucht und die Augen richten sich bei Kontaktaufnahme auf die tatsächlichen Bedarfe und nicht auf ein ´könnte, sollte, würde´.

Netzwerke sind dann wirksam, wenn sie selbst leben, nicht wenn Menschen sie künstlich am Leben erhalten. (Ich erinnere mich an viele, sehr lange Wirtschaftsstammtisch-Abende, bei denen ich schon beim Verlassen des Raums die meisten Inhalte wieder vergessen hatte). Wenn sich das Netzwerk organisch erneuert, seine Inhalte und Menschen sich stetig verändern, dann funktioniert es wie eine Stadt, die pulsiert, entstanden ausschließlich aus echten Bedarfen und den daraus resultierenden Beziehungen. Man findet sich zurecht und seine Nische bzw. das, was man braucht. Fühlen sich Netzwerke aber wie sehr große Meetings an, bei denen eine:r das Thema vorgibt und der Rest nur wegen der Kekse kommt, kann man ohne schlechtes Gewissen, etwas zu verpassen, die Zeit für den Aufbau echter Peer-to-Peer Beziehungen nutzen. Und hat am Ende trotzdem noch Zeit für Kekse.

Wahrscheinlich geht es jedoch nur darum, mein inneres Bild von Netzwerken zu erneuern. Auch unser Team versteht sich als Netzwerk, das organisch aus vielen Zweierbeziehungen entsteht und nicht von Treffen lebt, bei denen alle im Kreis sitzen. So baut sich wohl auch mein ganz individuelles Netzwerk nach und nach auf, indem ich viele Zweierbeziehungen genieße, die alle mit konkretem gemeinsamen Handeln und nicht mit Absichtserklärungen gefüllt sind. So ist das Netzwerk einfach die Welt, in der ich arbeite, die sich letztendlich mit allen Welten verknüpft und nicht ein fester Kreis an Menschen bei einer Veranstaltung. Und vielleicht lade ich dann zu meinem 70. Geburtstag mal das gesamte Netzwerk ein und stelle überrascht fest, dass sich meine Vision als junge Frau dann doch erfüllt hat, nur auf anderen Wegen als ursprünglich gedacht.



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