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Von der Freude, geschimpft zu werden

Autorenbild: MoniaMonia

Das sicher schwerste an der Selbstorganisation ist die Verpflichtung, Dinge anzusprechen - denn wenn ich es nicht mache, wird es keine:r tun, ohne ein:e Chefin, der man die Verantwortung zuschieben kann. Darüber, wie schwer es mir oft fällt, andere Teammitglieder auf "Verfassungsverstöße" anzusprechen, schreibe ich immer einmal wieder. Heute soll es aber um die andere Seite gehen - wie es sich anfühlt, wenn ich von Kolleg:innen an- bzw. zurückgepfiffen werde.





Heute früh kam eine E-Mail: "Guten Morgen liebste Monia", stand da, "nun hebe ich den Finger und melde einen Rollenverstoß von Dir. Es ist meine Rolle." So nett der Ton war, so klar war doch, dass diese Mail Überwindung gekostet hatte und der Absender sicherlich auch durch eine kleine Wutphase gelaufen war. Ich wartete also in mir auf das Gefühl in meinem Körper, das sich einstellt, wenn andere Menschen ein Problem mit mir haben: ein schwereloses Loch im Bauch, ein Schauer im oberen Rücken, ein Kloß im Hals und das seltsame Gefühl, weit mehr ein- als auszuatmen. Stattdessen passierte aber etwas Unerwartetes: Meine Schultern entspannten sich und ich begann, zu lächeln. Er hatte recht. Ich hatte mir etwas aufgehalst, das ich gar nicht tun musste. Ich hatte Verantwortung auf meine schon vollen Schultern geladen, die gar nicht meine war. Und damit niemandem geholfen, sondern nur Verwirrung gestiftet, weil ich tatsächlich keine fachliche Ahnung hatte. Ich durfte das wieder loslassen und entspannen, das war in guten Händen - und nicht in meinen.

Das Lächeln aber war die Freude darüber, dass wir alle unsere Verantwortungen so ernst nehmen, dass wir immer wieder die Gefahr eines schwierigen Gespräches auf uns nehmen. Es gibt mir ein Gefühl von Sicherheit, dass keine Struktur oder Regel mir jemals schenken könnte.

Vor ein paar Monaten bin ich in einen nächtlichen Kaufrausch verfallen. Wir haben unser neues Space eingerichtet und ich konnte gar nicht mehr aufhören, nach gebrauchten, selbst gemachten und nachhaltigen Gegenständen zu suchen und auf "kaufen" zu klicken. Irgendwann hat sich dann der Rausch verselbstständigt. Wenn ich etwas nicht in nachhaltiger Form gefunden habe, habe ich es eben neu gekauft. Und mir nichts mehr darüber gedacht.

Wenige Tage später kriegte ich dann eine emotionale Resonanz auf meinen nächtlichen Rausch. "Monia, das meiste ist ja toll, als Hüterin der Nachhaltigkeit habe ich mich zwischendurch beim Auspacken aber auch richtig geärgert. So haben wir das nicht vereinbart." Es war sehr heilsam, so ertappt zu werden. Nach meiner Entschuldigung könnten wir gemeinsam über meinen Anfall von Konsumrausch lachen und ich weiß, dass mir das nicht noch einmal passieren wird.

Sie hatte mir das Geschenk eines emotionalen Reflexionsmomentes gemacht, die wahrscheinlich tiefste Form des Lernens.

Freue ich mich also darauf, dass andere Teammitglieder mit mir schimpfen? Nein, wenn ich die Wahl habe, würde ich lieber alles ganz fein und perfekt machen (und muss bei der Erwartung an mich gerade kichern, wie absurd und unrealistisch). Freue ich mich aber, wenn es passiert ist? Ja, immer. Weil ich mich darauf verlassen kann, dass meine Kolleg:innen ehrlich ihre Emotionen mit mir teilen, mich nicht angreifen aber auch nicht verschonen und in Watte packen. Ich darf lernen, loslassen und weitergehen. Und wir passen so gemeinsam darauf auf, dass wir immer verbunden und vernetzt - im Sinne der Organisation arbeiten.



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