Seit sechs Wochen bin ich in Indonesien, um dort halbtags als Volontärin für ein Lerncenter zu arbeiten, in dem Kinder jeglicher Herkunft freien Zugang zu Bildung wie Sprachen, Schwimmkursen, Kunstklassen, Musikunterricht, Surfen, Umweltbildung, Recycling, gesunde Ernährung, Geografie u.v.m. haben.
Ich bleibe dafür für ein halbes Jahr im Süden von Lombok, der Nachbarinsel von Bali. Touristisch ist diese Insel kaum erschlossen, 90 % der Einwohner:innen sind Muslim:innen, ich war die erste Ausländerin, die kürzlich ein Dorf nur rund 30 km von der Hauptstadt entfernt besucht hat. Neben wildromantischer Natur, einer unverfälschten Kultur und einem lebendigen Mix aus Sprachen und Religionen hat Lombok wie viele andere Inseln ein großes Müllproblem. Es gibt nur ein rudimentäres System, der Müll wird nicht recycelt und 99 % des Mülls landen direkt auf der Straße, im Meer oder im Fluss.
Die Organisation namens Batu Bambu Kids Foundation, für die ich arbeite, setzt bei (Umwelt-)Bildung und Recycling an. 2015 gegründet, arbeiten insgesamt acht Menschen aus unterschiedlichen Ländern als Lehrer:innen, Volontär:innen und Projektleiter:innen im Lerncenter und Plastikrecyclingcenter und betreuen dabei rund 110 Kinder in sechs Lerngruppen. Für mich war es einfach, einen Einstieg zu finden, denn es gibt überall unglaublich viel zu tun - von der Arbeit mit den Kindern, über clean ups, Öffentlichkeitsarbeit, das Finden von Sponsor:innen bis hin zur Koordination der neuen Volontär:innen. Die Struktur der Organisation wird im Moment von zwei Stakeholder:innen gelenkt, über die die meisten Entscheidungen laufen - wir wachsen gerade sprunghaft und die beiden sind sichtlich am Ende ihrer Kräfte alles zu koordinieren und zu organisieren; die Kommunikation wiederholt sich zu oft, weil nicht klar ist, wer entscheidet und ich habe das Gefühl, nicht so wirksam sein zu können, wie ich es gerne wäre. Die einzelnen Teammitglieder sind unglaublich innovativ, emphatisch und mit großer Leidenschaft dabei - ich dachte mir: jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, um eine gute Basis für ein lebendiges und nachhaltiges Wachstum der Organisation zu schaffen.
Also habe ich mich mit Sebastian, einem Volontär aus Deutschland, zusammengesetzt und ihm eineinhalb Stunden Theorie zur Organisationsentwicklung gegeben. Ich habe ihm von dem Plan erzählt, für die Foundation und das Recycling Center ein Rollenmodell einzuführen und ebenso von unserer Arbeitsweise bei der Working Evolutions. Er war begeistert - er kommt selbst aus Verwaltungsstrukturen und genießt hier ebenso die Freiheit wie ich, selbstorganisiert und Sinn-basiert zu arbeiten.
Die Indonesier sind bekannt für ihre entschleunigte Lebensart, die Zeit wird hier anders gemessen und ich werde sofort heimgeschickt, wenn ich nach zwei Stunden clean up im Fluss aus Versehen gähne, weil ich schon um sechs zum Surfen gefahren bin. Einen Ausflug mit allen Kids zu organisieren und dabei halbwegs pünklich zu starten, ist eine unglaubliche Herausforderung und bei Absprachen rechnet man immer +eins bis zwei Stunden - oder manchmal auch Tage. Dafür bekommt man immer unendlich viel Höflichkeit, Freundlichkeit und echtes Wohlwollen zurück - der Unterschied zu Deutschland könnte nicht größer sein.
Wie also einen Workshop organisieren, in dem es um Strukturen, Rollenverteilung und Absprachen geht? Ich bin erst ganz neu in der Organisation und möchte niemanden überrumpeln - trotzdem brauche ich mehr Selbstorganisation und klare Verantwortlichkeiten. Als ich bei der Working Evolutions angefangen habe, war new work und das Arbeiten in Rollen Neuland für mich - der Einstieg war dank gemeinsamen Werten und einer Herangehensweise von Innen aber schnell möglich.
Vor kurzem haben wir unser Wertekartenspiel in Englisch verfasst - das kam uns jetzt zugute: nachdem ich ein kurzes Intro zum Rollenmodell und zur Selbstorganisation gegeben habe, von dem wir jetzt schon gar nicht weit weg sind, habe ich die 30 Werte auf dem Boden verteilt und jedem drei Post-its gegeben mit der Frage: welche drei Werte sind euch wichtig, wenn ihr an eure jetzige und zukünftige Arbeit in der Foundation denkt?
Lernen stand ganz klar im Vordergrund, dicht gefolgt von Leidenschaft und Verbundenheit. Ich hätte auf Nachhaltigkeit als Platz eins getippt - aber hier zeigt sich wieder, dass die Arbeitsweise den Output bestimmt und nicht anders herum. Als wir unsere gemeinsamen Werte gefunden und an das Whiteboard gepinnt hatten, schauten wir uns zufrieden an. Ich fragte alle nach einem kurzen Feedback, wie sie sich bisher mit dem Workshop fühlten, ob sie alles verstanden haben und ob es Unsicherheiten gibt - ich bekam dreimal eine Antwort zu den Werten, die Gruppe war also schon sichtlich eine Ebene tiefer in den Prozess gerutscht - also verzichtete ich vorerst auf allgemeines Feedback.
Wir setzten uns wieder im Kreis und ich erklärte genau, was eine Rolle und was eine Aufgabe ist, ebenso das Prinzip der beratenen Entscheidung und die Möglichkeit, Rollen zu tauschen, anzunehmen oder aufzugeben. Innerhalb einer halben Stunde hatten wir problemlos 21 Rollen gefunden, teilweise neue und hauptsächlich bestehende. Ich nahm Rolle für Rolle und fragte in die Runde, wer sich verantwortlich fühlt oder etwas dazu lernen möchte. Am Ende landete nichts im Fragezeichen und alle waren zufrieden und euphorisch, Aufgaben in ihren Rollen zu finden. Wir haben uns verabredet, uns in einem Monat wiederzutreffen und ein Fazit zu ziehen. Sollte es Probleme oder Unsicherheiten geben oder die Teammitglieder irgendwas vom Arbeiten abhalten, stell(t)e ich mich zur Verfügung.
Vielleicht sollte sich New Work nochmal umbenennen - ich denke nicht, dass es unbedingt eine neue Art zu arbeiten ist, sondern eher eine, die sich richtig und gut anfühlt und die den Menschen die Möglichkeit gibt, Impact zu schaffen, innerlich wie äußerlich: feel good work & be good work.
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